„Auf einmal fiel mir eine Begebenheit aus meiner Kindheit ein, als ich, ein schüchterner kleiner Junge, von meinem Elternhaus am Rande eines scheinbar endlosen Waldes immer tiefer in das geheimnisvolle Gebiet der Büsche und Bäume eindrang – bis ich eines Tages an eine Straße am anderen Ende des Waldes kam. Und dort mein Elternhaus sah! Und meine Mutter, die mit einem Eimer über den Weg ging, um Wasser zu holen. Mich überkam der Gedanke, dass zwei parallele Welten existieren und dass ich vielleicht in beiden lebe, obwohl mir nicht klar war, in welcher mehr und in welcher weniger. Das Haus war das gleiche, Vater und Mutter auch, alle meine Sachen waren an ihrem gewohnten Platz, sogar der Hund unterschied sich nicht von dem auf der anderen Seite. Aber es fühlte sich anders an.

Natürlich war nichts anderes geschehen, als dass ich im Wald, ohne es zu wissen, im Kreis gegangen und wieder nach Hause gelangt war. Doch ich trage seitdem das Gefühl mit mir herum, dass zwei Welten nebeneinander existieren und dass wir in beiden zu Hause sind. Die eine nennt sich Fiktion, die andere Wirklichkeit. Der Wald, der sie voneinander trennt, ist so unübersichtlich, dass wir uns in ihm nur schwer zurechtfinden, daher wissen wir nie wirklich, in welcher der beiden Welten wir den Großteil unserer Zeit verbringen. Mir scheint, am allermeisten in beiden zugleich.“

Evald Flisar, Das bin nicht ich

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